youngCitizen Relationship Management Eisenstraße
- Themenbereich
- Basisdienstleistungen, Leader, Gemeinden
- Untergliederung
- Chancengleichheit
- Jugend
- LEADER
- Standortentwicklung
- Projektregion
- Niederösterreich
- Lokale Aktionsgruppe
- LAG Eisenstraße Niederösterreich
- LE-Periode
- LE 14–20
- Projektlaufzeit
- 2018-2021
- Projektkosten gesamt
- 201.419,48€
- Fördersumme aus LE 14-20
- 154.076,00€
- Massnahme
- Förderung zur lokalen Entwicklung (CLLD)
- Teilmassnahme
- 19.2. Förderung für die Durchführung der Vorhaben im Rahmen der von der örtlichen Bevölkerung betriebenen Strategie für lokale Entwicklung
- Vorhabensart
- 19.2.1. Umsetzung der lokalen Entwicklungsstrategie
- Projektträger
- Eisenstraße Niederösterreich
Kurzbeschreibung
Wenn wir die demografischen Herausforderungen unserer Region angehen wollen, dann brauchen wir neben traditionelle Maßnahmen (genügende Jobs, genügend Wohnmöglichkeiten, notwendige Infrastruktur) vor allem auch ein neues Methodenset: Diesen Perspektivenwechsel brachten junge Akteurinnen und Akteure in unseren LEADER-Bürgerbeteiligungsprozess 2014 ein und daraus entstand die Vision eines youngCitizen Relationship Managements (yCRM) (analog zum bei Firmen üblichen Customer Relationship Management) mit unter anderem folgenden Maßnahmen:- kontinuerliche, positiv besetzte Kommunikation mit in der Region aufgewachsenen jungen Menschen vor allem in jenen Phasen, in denen sie die Region verlassen haben: Onboarding-Webplattform "Get the Most"
- analoge Veranstaltungsformate in Wien und in der Region: Mostviertel in Wien-Stammtische, Club to Most (Clubbing), Tour the Most (Ausflüge in Region)
- Video-Porträts von Role Models für ein neues Leben am Land: 24 Orte, 24 Videos etc.
Ausgangssituation
2013/2014 hat ein Team der Universität Wien im Auftrag unserer LEADER-Region einen eingehenden Demographie-Check vorgenommen und dabei setzte uns vor allem eine Statistik in Alarmbereitschaft: Die Wanderungsbilanz in der Gruppe der 15-40-Jährigen war deutlich negativ ausgeprägt, hunderte Menschen zwischen 15 und 25 zogen aus unserer Region weg und in den folgenden Altersklassen fand Zuwanderung beziehungsweise Rückwanderung“ nicht in jenem Ausmaß statt, welche die ausbildungsbedingte Abwanderung wieder kompensieren konnte. Diese Schieflage spitzte sich zu und wurde zunehmend zum Standortfaktor: Die prosperiende Wirtschaft unserer Region (mit zahlreichen am Weltmarkt erfolgreichen Leitbetrieben) kann ihren Bedarf an Arbeitskräften längst nicht mehr decken. Innerhalb der Region ist zusätzlich ein deutliches Nord/Süd-Gefälle erkennbar, das heißt, die Abwanderungstendenz ist vor allem im Süden der Region überdeutlich. Diese demografisch schwierige Gemenge-Lage führte dazu, dass wir das Thema Demografie als eigenes Handlungsfeld definierten. Die öffentlich-private Partnerschaft von LEADER sollte dafür das ideale Vehikel sein: Die Kommunen waren auf der Suche nach Neubürgerinnen- und bürger, die Betriebe nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Weder der eine noch der andere kann diese Herausforderung alleine lösen. Das yCRM-System wurde also von Beginn an in dieser Dualität gedacht und wurde daher weit mehr als eine reine Fachkräfte-Kampagne der Wirtschaft und umfangreicher als eine reine Willkommens-Initiative der Gemeinden.
Der zuvor sehr traditionell organisierte LEADER-Verein wurde dadurch aufgebrochen: Eine Gruppe junger Menschen entwickelte ab 2017 das yCRM-Projekt sehr aktiv, daraus bildete sich ab 2019 sogar ein eigener Verein "Netzwerk Mostviertel - Get the Most".
Aus einer sehr traditionell geprägten Ausgangslage (Jammern über demografischen Wandel ohne klare Handlungsanleitung, Überhang der öffentlichen Akteurinnen und Akteure, Silos von Wirtschaft und Kommunen) entwickelte sich ein Projekt mit neuen Methoden und neuen Akteurinnen und Akteuren.
Ziele und Zielgruppen
Wir wollten durch das Projekt vor allem eines ändern: die Beziehung von jungen Menschen zu ihrer Region. Wenn junge Menschen bisher die Region für Job oder Ausbildung in Richtung Wien, Linz oder Graz verlassen haben, waren sie aus dem Blickfeld der Regionalpolitik verschwunden. Wir wollten ihnen mit dem yCRM-Ansatz vermitteln, dass wir mit ihnen in Verbindung bleiben möchten, dass sie uns nach wie vor wichtig sind und wir ihre Expertise nutzen möchten.Kern der strategischen Herangehensweise war die Aufrechterhaltung einer aktiven, positiv besetzen Kommunikation mit in der Region aufgewachsenen Menschen vor allem in jenen Phasen, in denen sie altersbedingt oder aufgrund anderer temporärer Lebensumstände die Region verlassen (wollen).
Die Region wird – im Sinne des aus der Digitalbranche bekannten Plattform-Ansatzes – zur Plattform, die Gemeinden bei der BürgerInnenkommunikation und Betriebe beim Recruiting unterstützt. Entscheidend sind die Netzwerkeffekte: Je mehr junge Bürgerinnen und Bürger die Services nützen, umso mehr Wert erzeugen diese und umso attraktiver werden sie für jene, die die Services noch nicht nützen. Die junge Zielgruppe wurde in die Entwicklung konkreter erster Anwendungen und Maßnahmen aktiv eingebunden. Wir setzten dabei auf bottom-up und ganz bewusst auch auf Trial and Error.
Projektumsetzung und Maßnahmen
Das Projekt erstreckte sich über drei Jahre und dauerte von 2018 bis 2021. Die Grundlagen hierfür wurden wie weiter oben beschrieben im LEADER-Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungsprozess 2014-2020 gelegt. 2018 startete die operative Projektumsetzung:1.) Auftaktveranstaltung "Comeback" - Netzwerk Mostviertel
"Wie wir junge Menschen für unsere Region (zurück)gewinnen": Mit diesem Auftrag organisierte der LEADER-Verein am 9. Juni 2018 eine kleine Konferenz im Schloss Neubruck in Scheibbs, zu der wir GemeindevertreterInnen, VertreterInnen von Vereinen und Wirtschaftsbetrieben, aber vor allem am Thema interessierte junge Menschen einluden. Das war der Startschuss für die Initiative und Maßnahmen wie das geplante Clubbing, der künftige Name der Initiative "Get the Most" oder die Inhalte für die Webseite wurden hier von ca. 50 Personen erarbeitet. Was uns besonders freute: An diesem Samstag nahmen sich viele junge Menschen Zeit, die in Wien studierten und sich hier aktiv einbringen wollten. Es war der emotionale und inspirierende Startschuss für unsere Reise.
2.) Mobilisierungskampagne
Im nächsten Schritt wurde mit einer national anerkannten Kommunikationsagentur (Campaingning Bureau) der Claim und das optische Erscheinungsbild erarbeitet: Get the Most. Es sollte dies ein Wortspiel mit unserer Region (dem Mostviertel) sein. Wesentlichster Kommunikationskanal ist seither die Webseite www.get-the-most.at.
3.) Mostviertel in Wien-Stammtische
Am 13. September 2018 folgte der nächste große Meilenstein: der erste Mostviertel-in-Wien-Stammtisch mit über 100 Besucherinnen und Besuchern, die in Wien studieren oder arbeiten und aus unserer Region stammen. Dabei wurde der Kampagnenname enthüllt und ein Prinzip begonnen, das seither insgesamt fünf Mal durchgeführt wurde: An einer Location in Wien mit Bezug zum Mostviertel (zum Beispiel Firmendepandance) wird ein sehr niederschwelliges Begegnungsformat durchgeführt - mit chilliger Musik, Getränken und einem spannenden inhaltlichen Impuls.
4.) Get the Most-Kommunikationsmedien
Bei der Kommunikation mit der Zielgruppe wurde von Beginn an ein sehr vielfältiger Mix gewählt: ein Newsletter mit über 500 Adressen, die Wall of Most, ein eigenes Get the Most-Magazin (einer Wiener Tageszeitung beigelegt), eine Videoporträtserie mit Zuzüglerinnen und Zuzügler und Rückkehrerinnen und Rückkehrern sowie Social Media-Kanäle (Facebook, Insta, LinkedIn).
5.) Demographie-Cockpit
Dass uns wie 2014 eine Statistik (jene über die riesengroße Abwanderungslücke) aus heiterem Himmel überrascht, sollte uns nicht noch einmal passieren. Deshalb haben wir ein interaktives "Demographie-Dashboard" entwickelt, in dem die Daten stets aktuell abgerufen werden können. Dieses Cockpit erlaubt es, Entwicklungen in Gemeinden zu vergleichen (innerhalb der Region sowie im Vergleich zu Niederöstererreich und Österreich): https://lep.eisenstrasse.deckweiss.at/
6.) Botschafterinnen und Botschafter-Workshops "Get the Most-Academy"
Maßgeblich für den Erfolg eines solchen Projektes ist die Einbettung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Um junge Menschen für diese Aufgabe zu begeistern, wurden Workshops organisiert , die einen zusätzlichen Mehrwert bieten: Junge Menschen erhielten „Skills“/Wissen über Persönlichkeits- und Teamentwicklung. Aus dieser Kerngruppe heraus entstand dann der Verein "Netzwerk Mostviertel - Get the Most" mit Studierenden als Vorstand.
7.) Netzwerkveranstaltung außerhalb der Region (Club to Most)
Mit einem Clubbing im März 2019 in Wien wurde ein wichtiges, öffentlichkeitswirksames Signal ausgesendet und über 1.000 BesucherInnen feierten miteinander und zelebrierten das Mostviertel. Es zeigte sich, dass solche analoge Begegnungen immens wichtig für die Bindung sind.
8.) Projektmanagement
Während wir ab 2015 versuchten, die Projektidee neben dem "LEADER-Tagesgeschäft" aus der Taufe zu heben, nahm "yCRM" erst dann Richtung Schwung auf, als wir eine eigene Projektmanagementkraft im Ausmaß von 20 Wochenstunden dafür anstellten: Margit Fuchsluger kam selbst aus Wien zurück und wurde zu unsere "Welcome Managerin".
Ergebnisse und Wirkungen
Direkter Nutzen:Hat sich durch das Projekt etwas geändert? Diese Frage stellen wir uns oft und wir glauben, ja: Unser yCRM hat bestimmt noch nicht die Qualität einer Kundenbindungslösung von Unternehmen erreicht, aber wir bemerkten auch, dass gerade junge Menschen in Bezug auf die Weitergabe von Daten an Gemeinden/öffentliche Trägerinnen und Träger sehr sensibel sind. Immerhin verfügen wir über 500 Datensätze mit Kontaktdaten, früheren und jetzigen Wohnort sowie zum Teil auch Interessen von jungen Menschen. Wir nutzen diese Daten, um dieser Gruppe über einen Newsletter regelmäßige Neuigkeiten aus der Region, Job- und Wohnmöglichkeiten mitzuteilen. Über analoge Veranstaltungen erreichten wir 1.500 junge Mostviertlerinnen und Mostviertler in und außerhalb der Region (vor allem in Wien). Dazu schafften wir mit den Videoporträts eine Social Media-Reichweite von über 100.000 Personen und unsere Webseiten besuchten im Projektzeitraum rund 13.000 unterschiedliche Menschen.
Wie viele junge Menschen durch die Initiative in die Region (zurück)gekommen sind, lässt sich nicht quantifizieren. Aber spannend ist, dass jene Personen, die den Verein "Netzwerk Mostviertel" als in Wien Arbeitende oder Studierende gegründet haben, mittlerweile allesamt in der Region leben und arbeiten.
Durch die Initiative "Get the Most" gelang es uns, neue Bilder über unsere Region und das Leben und Arbeiten am Land zu kreiieren. Dies geht aus Reaktionen von FirmenchefInnen ebenso hervor wie aus Rückmeldungen von Fachleuten. So wurde "Get the Most" unter anderem als Best Practise-Projekt im Rahmen eines Forschungsprojekts der deutschen Universität Erlangen unter die Lupe genommen.
Es ergaben sich aus dem personellen Umfeld von Get the Most auch weitere Initiativen wie die Gründung des Vereins "Kreatives Mostviertel". In einem Folgeprojekt wurde das erste MOST Welcome Center in unserer Region, im Innovationshub beta-campus in Waidhofen an der Ybbs gegründet.
Mehrwert durch Vernetzung:
Während wir anfangs sehr stark von unserem digital geprägten yCRM-System ausgingen, zeigte der Projektverlauf, dass die Vernetzung mit jungen Menschen vor allem auch analoger Formate bedarf, die viel stärker imstande sind, emotionale Verbindungen aufzubauen. Für unsere Region entstand dadurch eine ganz neue Dimension der Regionalentwicklung - mit und durch eine junge, hoch qualifizierte Zielgruppe. Inzwischen entwickelte sich Get the Most zur umfassenden Talente- und Onboarding-Initiative für unsere Region. Demnächst sollen betriebsübergreifende Jobkampagnen erstmals ausgeschrieben werden.
Übertragbarkeit:
Wir haben schon bisher die Erfahrungen und Learnings aus dem Projekt mit anderen Regionen in Österreich und Deutschland geteilt (zum Beispiel Wendland, Münstlerland in Deutschland sowie Regionalmanagements Steiermark und Oberösterreich in Österreich) und wir glauben, dass sich die Herangehensweise sehr gut auch in anderen Regionen etablieren lässt: Projektentwicklung mit der Zielgruppe, Umsetzung durch und mit der Zielgruppe, Aktivitäten in und außerhalb der Region, analoge und digitale Formate, Fokus auf Gemeinden UND Unternehmen. Insbesondere zeigte sich, dass professionell aufbereitete Kommunikation (Design, Videos, Fotosprache, Magazin…) und eine hybride Vorgehensweise sehr wesentlich für den Projekterfolg sind.
Synergien mit anderen EU-Politiken:
Das vorliegende Projekte wurde im Rahmen von LEADER (LE 14–20) umgesetzt, der Austausch mit anderen Regionen zeigte uns aber, dass auch andere EU-Fonds für dieses Thema angesprochen werden können (EFRE, ESF), insbesondere auch mit Hinblick auf Fachkräftesicherung/Arbeitsmarkt.
Innovativer Aspekt:
Systematisches Kundenbindung der Wirtschaft (CRM) wurde in die Regionalentwicklung transferiert: Hier sehen wir eine Prozessinnovation. Für uns als Region war auch die erstmalige intensive und dauerhafte Zusammenarbeit mit jungen Menschen eine Neuerung in der Vereinsarbeit.
Integration junger Menschen:
Das Projekt wurde von der ersten Idee im Rahmen des LEADER-Beteiligungsprozesses (Themengruppe Junge Menschen, ca. 10-15 Personen) über den Kickoff-Workshop (ca. 50 Personen) bis hin zur Festlegung der konkreten Projektmaßnahmen maßgeblich von Personen unter 40 Jahren gestaltet und getragen. Die Projektleiterin Margit Fuchsluger ist ebenfalls aus der Zielgruppe und es wurde ein eigener Verein mit Studierenden gegründet ("Netzwerk Mostviertel - Get the Most", 10-15 Personen). Die Projektträgerschaft über die LEADER-Region Eisenstraße Niederösterreich sorgt auch für die Einbindung weiterer relevanten Stakeholderinnen und Stakeholder aus Gemeinden und Wirtschaft - und sie garantiert eine Stabilität bei der Umsetzung und Finanzierung der Maßnahmen. Dieses organisatorische Backup war für den Projekterfolg ebenfalls wichtig.
Erfahrung
"Gerade kleinere Gemeinden haben nicht die Zeit und die Ressourcen dazu, Talente-Management aktiv und systematisch zu betreiben. Die Regions-Initiative Get the Most hilft uns dabei, dass wir für junge Menschen attraktiv werden - auch und vor allem, in dem es die jungen Menschen einbindet."Bürgermeisterin und Eisenstraße-Vorstandsmitglied Manuela Zebenholzer, Hollenstein an der Ybbs
"Get the Most bringt Menschen und ihre Kompetenzen strukturiert, niederschwellig und regional zusammen. Die Initiative stärkt so das Regionsnetzwerk, blickt dabei über den eigenen Tellerrand und bereitet als Graswurzelbewegung den Boden für Innovation und Synergien auf. Damit leistet Get the Most auch einen wichtigen Beitrag, ein zeitgemäßes und attraktives Bild vom „Leben am Land“ nach innen und außen zu kommunizieren."
Johannes Haselsteiner, Multilokalist und Vorstandsmitglied im Verein "Netzwerk Mostviertel - Get the Most"